Mann tanzt auf einer Straße

Ich habe mich in den letzten Tagen sehr viel damit beschäftigt, was verschiedene Autor:innen jetzt empfehlen, um in der gegen­wärtigen Corona-Virus-Krise „gut“ leben zu können. Eine fast schon philo­sophische Frage: Was ist das gute Leben in Zeiten des Corona-Virus eigentlich?

Solche Fragen führen mich immer zu einem schönen – und wie immer tief­sinnigen – Konzept von Eric Berne, dem Begründer der Transaktions­analyse, zurück. Dem der Grund­bedürfnisse, bzw. der drei Arten von Hunger, die uns immer begleiten.

Egal also, ob du nach Möglichkeiten suchst, dein Home Office nach deinen Bedürfnissen (!) zu gestalten, deine Partner­schaft in diesem Ausnahme­zustand zu pflegen oder mit deinem Kind einen guten Kontakt zu halten – immer wirst du dich mit diesen beiden Fragen beschäftigen müssen: was will und brauche ich eigentlich und was will und braucht mein Gegen­über?

Der Hunger nach Stimulus

Ein etwas sperriger Begriff: Stimulus. Gemeint sind äußere Impulse, die uns anregen, unser Denken, Fühlen und Verhalten in Gang bringen und halten. Ohne äußere Reize stellt sich bei uns schnell ein Gefühl der inneren Leere ein. Wir sind mit der Welt um uns herum unzertrennlich verbunden – erscheint sie uns leer und tot, müssen wir das­selbe von uns selbst vermuten.

In Zeiten von social/physical distancing, Isolation und Kontakt­verbot ist es schwer geworden, „echte“ Impulse zu kultivieren. Denn unser Stimulus-Hunger absorbiert psycho­logisches Fast Food wie Net­flix und Co. und verlangt dann einfach nach mehr. Mit „echten“ Impulsen meine ich aber den Kontakt zu anderen Menschen, die in uns eine Resonanz erzeugen. Zum Glück stelle ich fest, dass so ein Kontakt auch über Video­telefonie möglich ist.

Woher kommen deine Impulse?

Versuch' einfach mal für dich zu über­prüfen, woher deine äußeren Stimuli gerade kommen. Sind es Pod­casts, die du hörst? Gespräche am Ess­tisch? Oder der wieder auf­geblühte Kontakt zu alten Freunden? Da, wo du die stärkste innere Schwingung spürst, kommt auch dein schönster Stimulus her. Da lohnt sich vielleicht eine Verstärkung…

Der Hunger nach Strokes

Das Wort englische Wort „stroke“ ist herrlich mehr­deutig: es bedeutet sowohl „Streichel­einheit“, als auch „Schlag“ – und damit sind schon beide Seiten der­selben Medaille beschrieben, auf die es uns ankommt: Aufmerksamkeit, Zuwendung und Anerkennung. Als Papa kennst du vielleicht die Situation, wenn dein Kind auf­gedreht und irgend­wie ziemlich destruktiv unter­wegs ist, kein ernstes Wort scheint zu wirken. Nun, hier wirkt ein Mechanismus, der mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass du deinem Kind Aufmerksamkeit zu­teil werden lässt. Das­selbe Verhalten kennst du eventuell auch von anderen Menschen, auch erwachsenen.

Wir brauchen als soziale Wesen irgendeine Form von Feed­back, damit wir merken, dass wir gesehen werden. Denn nur mit Hilfe anderer Menschen können wir unseren Selbst­wert wirklich stabilisieren. Und dafür ist uns eigentlich (fast) jedes Mittel recht – Anpassung, um positives Feed­back zu bekommen oder auch offene Rebellion, um zumindest etwas Aufmerksamkeit zu erhalten.

Der Soziologe und Philosoph Axel Honneth spricht vom menschlichen Wunsch nach und Recht auf Anerkennung. Das ist sozusagen die höhere Dimension unseres Hungers nach strokes.

Woher kommen deine positiven strokes?

Das Schöne: du kannst dir auch selbst solche Zuwendung geben! Überleg' doch mal, was du an dir magst. Was sind Eigen­schaften, die du an anderen magst und bei dir selbst entdecken kannst? Und worauf bist du stolz, es erreicht zu haben? Das darfst du gerne auf­schreiben und für besonders schwierige Momente auf­bewahren. Gleich­zeitig darfst du auch Andere nach positivem Feed­back fragen. Wünsch' dir doch mal was Besonderes zum Geburts­tag: eine Liste der Dinge, die eine für dich wichtige Person an dir toll findet. Gänse­haut und Wachstums­schub garantiert.

Der Hunger nach Struktur

Für Berne ist das erste Grund­bedürfnis, das uns in Form eines ständigen Hungers umtreibt, das nach Struktur. Struktur kann bedeuten, dass wir gewisse Routinen einhalten, in klaren Hierarchien und Rollen­systemen arbeiten oder soziales Mit­einander bestimmten Regeln folgt.

Schon bei Babys ist es so, dass eine feste Struktur, eine Routine für Sicherheit und Entspannung sorgt. Man könnte sagen: so ein kleines Wesen weiß einfach gerne, woran es ist. Und wir selbst merken ja auch, dass insbesondere im jetzigen Ausnahme­zustand einiges an lieb gewonnener Struktur plötzlich weg­bricht.

Vieles an Unruhe, Angst und auch Aggression in dieser Zeit mag daher rühren, dass Menschen sich plötzlich ohne die selbst­verständlichen Routinen, Rituale und Freiheiten wieder­finden – in einer Welt, die völlig aus den Fugen geraten zu sein scheint. Sich dieser beunruhigenden Gefühle bewusst zu werden, ist der wichtigste Schritt, etwas daran zu ändern. Es ist völlig okay, sich Sorgen zu machen, unruhig und verängstigt zu sein. Das ist völlig angemessen angesichts einer globalen Gesundheits­krise und so starken Ein­griffen in dein Leben und seinen gewohnten Ablauf.

Wie ist es um deine Struktur bestellt?

Umso wichtiger ist es, deinen eigenen Hunger nach Struktur wahrzunehmen und darauf einzugehen. Was brauchst du, um dir ein Gefühl von Sicherheit, Planbarkeit und letztlich Kontrolle zu verschaffen? Welche Strukturen deines bisherigen All­tags haben sich gravierend verändert? Welche neuen Freiheits­räume könntest du für dich nutzen? Denn wenn du den Radius bestimmen kannst, in dem du Ein­fluss auf dein Leben hast, wirst du merken, wie du deine Ressourcen auch ziel­gerichteter einsetzt. Ein Coaching kann dir helfen, genau an dieser Stell­schraube zu drehen.

Hör' auf deinen „Bauch“

Zu den großen Nach­teilen unserer Optimierungs-hungrigen Zeit gehört, dass unsere Grund­bedürfnisse oft als störend empfunden werden. Meine Ein­stellung dazu ist, eher auf das eigene Bauch­gefühl zu vertrauen. Wenn du merkst, dass einer der Bedürfnis­hunger gerade groß wird, gehe dem nach. Es ist nicht nötig, den Wunsch nach Struktur, Anregung oder Zuwendung künstlich klein zu reden oder sich des­wegen schuldig zu fühlen.

Wenn dir meine Anregungen gefallen haben, lass' uns deinem Bauch­gefühl ein wenig auf die Sprünge helfen. Einfach weil es gemeinsam Spaß macht und einfacher ist. Melde dich gerne, auch virtuell können wir uns treffen!


Bild: Andre Hunter on unsplash