Hab' keine Angst vor deiner Angst.

Angst ist eines dieser unmännlichen Gefühle, die irgend­wie nicht zum starken, selbst­bewussten Kerl passen wollen, der seinen Weg geht. Und trotz­dem ist sie ein wichtiger Bestand­teil unseres Gefühls­lebens und es lohnt sich, sie wie einen Freund zu um­armen, wenn sie sich meldet.

Wozu Angst?

Ähnlich wie die Wut ist Angst eines unserer Grund­gefühle, das heißt, sie ist eines der Gefühle, die jeder Mensch kennt und auszudrücken vermag. Gleich­zeitig tritt sie in unter­schiedlichen Intensitäten auf und kann verschiedene Aus­löser haben. Aber was will deine Angst von dir? Während Wut vor allem darauf ab­zielt, bei einem Grenz­übertritt dein Gegen­über zur Veränderung zu bewegen, ist die Angst eine instinktive Reaktion auf Gefahr und regt deinen Organismus zu Flucht oder zum Erstarren (du hast vielleicht schon mal von den drei instinktiven Reaktionen fight, flight und freeze gehört) an.

Der italienische Psychiater Carlo Moiso beschreibt in seinem Modell vom Gefühls­zirkel, wie deine Grund­gefühle entstehen und welche Wünsche und Veränderungs­möglichkeiten sich dahinter verbergen (Moiso, C. (1985): „The Feeling Loop“, TA State of the art, S. 69ff.).

The Feeling Loop
Der Feeling Loop nach Carlo Moiso (Moiso: „The Feeling Loop“, in: TA – State of the Art, 1984.), eigene Über­setzung.

Als Gruppen­tiere sind wir Menschen darauf „programmiert“, unsere Gefühle zu nutzen, um Beziehungs­wünsche zu äußern. Das passiert meistens eher unbewusst und vor allem gut verborgen, weil sich der neuere Teil unseres Hirn mit dem Denken und der Sprache dazwischen­schaltet. Des­wegen hilft es, den eigentlichen Beziehungs­wunsch hinter der Angst zu kennen, um ihn dann auch äußern zu können. Und deine Angst will vor allem Hilfe und Rück­versicherung, wenn von außen Gefahr und Unsicherheit droht.

Was mache ich mit meiner Angst?

Wenn du also nun weißt, dass du es mit der Angst zu tun bekommen hast, weißt du auch, wie du mit ihr umgehen kannst! Indem du nach Hilfe fragst. Indem du dir Unter­stützung von außen holst. Ja, total unmännlich, ich weiß. Nein, im Gegen­teil! Akzeptierst du deine eigenen Grenzen und bittest um Hilfe, zeigst du damit einen sehr souveränen Umgang mit deinen Gefühlen. Und das macht im Zweifel nicht nur Ein­druck, sondern führt auch zu besseren Beziehungen (ein bisschen Transparenz schadet da nie) und vor allem auch zu besseren Ergebnissen, als mit Stress und Angst am Steuer Entscheidungen zu treffen.

Zum souveränen Umgang mit der Angst gehört auch, ihr einen Namen geben zu können. Wer seine Angst zur Seite drückt oder im Nebel des Ungefähren lässt, gibt ihr jede Menge Möglichkeiten, sich unbemerkt von hinten anzuschleichen und bei jeder sich bietenden Gelegen­heit wieder zuzubeißen. Der groß­artige Musiker und Autor Nicholas Müller schreibt in seinem auto­biographischen Buch „Ich bin dann mal wieder tot“ auch sehr treffen von einer geifernden Bestie, die ihn immer wieder von hinten an­fiel, wenn er eine Panik­attacke auf­grund seiner Angst­störung erdulden musste. Angst kann hilf­los, ohn­mächtig machen. Aber du machst sie kleiner und hand­habbarer, wenn du ihr einen Namen gibst, erkennst, wer sie ist und woher sie kommt. Und das kann auch heißen anzuerkennen, dass sie einen triftigen Grund hat, dich zu besuchen.

Wovor hast du Angst?

Wie gesagt, kann Angst viele verschiedene Aus­löser haben. Oft sind es äußere Bedingungen, die uns den Ein­druck vermitteln, die Kontrolle zu verlieren, dabei Schaden nehmen zu können und nichts dagegen tun zu können. Es kann die Angst vor dem Job­verlust oder Kurz­arbeit sein, existenzielle Angst vor dem finanziellen Ruin oder auch vor dem Beziehungs­verlust (wie ich bei der Kindergarten-Eingewöhnung gemerkt habe).

Deine Angst ist deine eigene, nur du kannst wissen, wie sie sich anfühlt und woher sie kommt. Aber du musst nicht allein auf die Spuren­suche gehen und auch nicht allein damit umgehen. Denn Hilfe gibt es über­all. Und wenn du willst, helfe ich dir auch!

Also, fürchte dich ruhig mal wieder und grüß' deine Angst von mir.