Bausteine für Gender-Sensibilität.

In drei siebten Klassen eines örtlichen Gymnasiums durfte ich jeweils einen halben Tag mit meinen bunten Bau­steinen zum Thema „Gender Sensibilität“ gestalten. Für mich und auch für die Schüler:innen eine Premiere: die Arbeit mit Schul­klassen gehörte bisher nicht zu meinen Einsatz­gebieten – umso dankbarer bin ich für die vielen Ein­blicke und Ein­sichten, die ich gewinnen durfte. Genau die möchte ich jetzt teilen.

Weniger Input, mehr Teilen

Die Methode LEGO® SERIOUS PLAY® eignet sich für solche Settings, in denen Komplexität herrscht und die Beteiligten das Wissen haben, um damit umzugehen – auch, wenn sie das noch nicht wissen. Und des­wegen passt für mich die Methode so gut zum Thema „Gender Sensibilität“. Es geht in erster Linie darum, die eigene Identität zu erforschen, auf mögliche Wider­sprüche zu stoßen und damit liebe­voll umgehen zu lernen. Für junge Menschen auf der Suche nach der eigenen Identität liegt der große Gewinn darin, erst einmal sich selbst besser verstehen zu lernen und im geschützten Aus­tausch Verständnis zu bekommen und aufzubauen.

Diesen Schutz bietet die Methode LEGO® SERIOUS PLAY® (LSP) mit ihrem einfachen Kern­prozess:

  • Frage
  • Bauen
  • Teilen
  • Austausch/Reflexion

Mehr Infos zur Methode und warum sie funktioniert habe ich hier auf­geschrieben.

Tafel

Das Wissen darüber, woran sich die Schüler:innen in ihrer jeweiligen Gender Identität orientieren, was ihnen dabei eventuell im Weg steht und wie sie mit einander umgehen möchten, liegt in ihnen selbst. Und das haben wir mit LEGO®-Bausteinen zu Tage befördert.

Vorbilder & Orientierung

Nach einer Aufwärm­phase haben wir damit begonnen, auf die Suche nach Vor­bildern zu gehen: wer gibt mir Orientierung in Bezug auf meine Gender­identität und warum ist das so? Es war für mich bewegend, wie offen sich die Schüler:innen mit­geteilt haben und wie divers die Vor­bilder aus­fielen: Dwayne Johnson, Pippi Lang­strumpf, die Cousine und der eigene Vater – jede:r findet in sich einen solchen Fix­stern, der Orientierung bietet und gleich­zeitig auch die Chance, das Eigene durch Abgrenzung zu entdecken.

Lego-Bauwerk
Ein beeindruckender Schrift­zug: „Mein Vor­bild ist mein Vater…“
Lego-Bauwerk
„…denn er zeigt mir, was es heißt, ein Mann zu sein.“

Ungeschriebene Gesetze

Uns alle verfolgen unter- und unbewussten Leit­sätze, die uns im Heran­wachsen mit­gegeben wurden. Sie sagen Dinge wie „Sei stark“, „setz' dich durch“, „sei immer schön brav“ oder „sei anders!“. Manchmal sind solche ungeschriebenen Gesetze hilf­reich, manchmal aber eben auch ein Hindernis auf dem Weg zu uns selbst. Deswegen haben die Schüler:innen als nächstes solche ungeschriebenen Gesetze gebaut.

Inspiriert wurde ich bei der Aufgaben­stellung übrigens vom „Boy Code“ (William Pollack) und den Antreibern (nach Taibi Kahler) und den Einschärfungen (nach Mary Goulding) aus der Transaktions­analyse. Dahinter steht die Über­zeugung, dass „doing Gender“ auch bedeutet, ungeschriebene Gesetze über das Mann- und/oder Frau-Sein zu über­nehmen, die identitäts­stiftend und auch -hemmend wirken können. Wichtig ist, die positiven Aspekte dieser Leit­sätze in den Fokus zu rücken.

Umgeschriebene Gesetze

Um diese Art des Reframings haben wir uns anschließend gekümmert: aus den ungeschriebenen Gesetzen wurden Erlaubnisse. Jedes Modell konnte so verändert werden, dass es eine individuelle Erlaubnis aus­spricht. Dahinter steht der Gedanke (den ich in den Cycles of Development von Pam Levin kennen­gelernt habe), dass jede Entwicklungs­phase eine Wachstums­aufgabe mit sich bringt, die durch eine Erlaubnis abgeschlossen wird. Diese Erlaubnis ist individuell und kann auch nach­träglich gegeben werden.

Lego-Bauwerk
Lego-Bauwerk
Lego-Bauwerk
Lego-Bauwerk
Lego-Bauwerk
Lego-Bauwerk
Lego-Bauwerk
Lego-Bauwerk

Safe Space

Wir alle brauchen einen sicheren Rahmen, der uns Entwicklung ermöglicht. In einer Klassen­gemeinschaft kann das wegen der unter­schiedlichen Entwicklungs­phasen und den immer noch wirkenden ungeschriebenen Gesetzen schwierig sein. Deswegen wollte ich mit den Klassen heraus­finden, wie ihr Safe Space aus­sehen kann, der Schutz bietet und die Erlaubnisse wirksam werden lässt. Dieser sichere Rahmen entsteht aus den Schüler:innen selbst und dem, was ihnen Sicher­heit gibt – es ist gleich­zeitig das, was sie selbst brauchen und sich wünschen und damit auch der Gruppe geben.

Dieser Safe Space stand nun zum Schluss als Schutz­kreis um die Erlaubnisse und war ein mächtiges Bild der Klassen­gemeinschaft in all ihrer Diversität.

Das habe ich gelernt

Ich durfte drei Vor­mittage mit jungen Menschen verbringen, das allein war schon ein großes Geschenk. Und ich wurde obendrein noch über­rascht:

  • Siebt­klässler wissen schon eine Menge über das Thema Gender, sie kennen die Unter­schiede zwischen biologischem und sozialem Geschlecht;
  • Schüler:innen sind sensibel dafür, ob sie als gleich­berechtigte Gesprächs­partner:innen angesprochen werden;
  • der Safe Space ist ein starkes Symbol für eine stabile und förderliche Klassen­gemeinschaft – alle tragen dazu bei, alle brauchen ihn
  • eine Methodik, die gleich­berechtigte Kommunikation fördert, baut Brücken für Schüler:innen, die sonst in ihrer Rolle (der:die Klassen-Clown:in, der:die Stille…) stecken bleiben

Es gibt auch Ein­schränkungen, mit denen ich umgehen musste:

  • der Schul­betrieb geht wie gewohnt weiter: Klassen­arbeiten, Leistungs­druck oder schlicht Pausen sind Faktoren, die methodisch auf­gefangen werden müssen;
  • die Klassen­größe ist eine Heraus­forderung: individuelle Begleitung ist kaum möglich, der Geräusch­pegel ist enorm und die unter­schiedlichen Geschwindig­keiten sind für den Prozess eine Heraus­forderung.

Der nächste Schritt

Ich habe Lust auf mehr! Deswegen arbeite ich weiter am Workshop-Konzept und suche aktiv nach Schulen, die ebenfalls Interesse an der Durch­führung eines solchen Work­shops haben. Gleich­zeitig könnte es auch in anderen Kontexten Sinn machen:

  • Vereine mit Jugend­arbeit
  • (Ausbildungs-)Betriebe
  • Lehrer:innen-Fortbildung
  • Hochschulen