Seit einigen Tagen ist unser Kind nun im Kindergarten zur Eingewöhnung und es läuft erstaunlich gut. „Gut“ – das bedeutet, dass wir Eltern eigentlich nicht mehr wirklich nötig sind, um für Sicherheit zu sorgen und unser Sprössling langsam wirklich flügge wird. Keine einfache Erkenntnis.
Dieser Übergang in die Selbstständigkeit ist nur eine weitere Phase in der Entwicklung von Autonomie im Kind und gleichzeitig aber auch besonders schwer. Weil wir Eltern plötzlich nicht mehr alleinige Erziehungspartner:innen des Kindes sind. Weil plötzlich der Tagesablauf durch eine Institution außerhalb unserer Familie gesteuert wird. Und vor allem: weil viele der Erlebnisse unseres Kindes jetzt außerhalb unserer direkten Wahrnehmung und Einfluss-Sphäre passieren.
Aber wie gehe ich als Vater mit diesem Mehr an Autonomie und diesem Weniger an Kontrolle um? Wie schaffe ich es, in Liebe loszulassen? Spoiler: ich habe keine endgültige Antwort, aber ein paar Ideen.
Was steht dem Loslassen entgegen?
Bevor ich für mich herausfinden kann, wie das Loslassen gut gelingen kann, lohnt sich ein Blick auf die Gegengewichte. Welche „bremsenden“ Gefühle regen sich und was bedeuten sie für mich? Was wünsche ich mir von meinem Kind und warum?
Angst
Angst spielt bei mir eine große Rolle: ich spüre klar, wie ich mir Sorgen mache, ob mein Kind liebevoll, sorgsam und wertschätzend aufgenommen wird. Nicht nur von den Betreuer:innen, sondern natürlich auch von den anderen Kindern. Die Angst, dass meinem Kind Schaden zugefügt werden könnte ist bei mir körperlich spürbar: mit einem Panikmagen. Das Fatale ist ja gerade, dass ich weiß, dass sich diese Erfahrungen nicht vermeiden lassen und gleichzeitig auch wichtig sind, damit aus der Sicherheit in der Bindung zu uns Eltern auch Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit entstehen können. Im Konflikt mit anderen und in der Auseinandersetzung mit den eigenen Grenzen.
Eine andere Angst ist die vor dem Verlust der engen Beziehung zu meinem Kind. Was, wenn plötzlich nur noch Mama die nötige Sicherheit geben kann? Was, wenn plötzlich die lieben Erzieher:innen in der Gunst ganz oben stehen und ich nur noch „der doofe Papa“ bin, der immer „so viel schimpft“? Wie verändert sich die Sicht meines Kindes auf mich und mein Verhalten, wenn es anderswo auch positive Beziehungserfahrungen machen kann? Letztlich ist es eine Angst vor Beziehungsabbruch.
Trauer
Es gibt in dieser Zeit einiges zu betrauern: das Ende der kuscheligen Zeit zu dritt. Das endgültige Austreten aus dem Nest und das Entdecken von eigenen Interessen. Geheimnisse, von denen ich nie etwas erfahren werde. Erste Male, die ich nicht miterlebe. Wunden, die ich nicht verhindern oder heilen kann.
Meine Trauer spüre ich immer wieder deutlich als „Deckschicht“ auf dem Panikmagen, wenn sich die Aufregung legt und mir die Möglichkeit gibt, mehr zu spüren. Und natürlich auch in den Augen, die plötzlich erkennen, was sie nicht sehen können. Die auf eine geschlossene Tür blicken, hinter der dieser kleine Mensch eigene Schritte tut, die sich meiner Einflusssphäre entziehen.
Was diese Emotionen wollen
Um diese bremsenden Faktoren besser zu verstehen und mit ihnen umzugehen, habe ich mir Carlo Moisos Modell vom Feeling Loop zu Herzen genommen. Moiso fragt nach Möglichkeiten, aus den vier Grundgefühlen, die die Transaktionsanalyse kennt (Angst, Wut, Trauer & Freude), jeweils einen Weg in die Autonomie – also der selbst-bewussten Beziehungsgestaltung im Hier & Jetzt – zu finden.
Dazu identifiziert er unter anderem ein soziales Anliegen, dass sich hinter jedem dieser Gefühle verbirgt. Diese Anliegen kann ich erkennen lernen und darüber reflektieren, sie in Beziehung zu mir und dem anderen setzen und damit meine Fähigkeiten zur spontanen, unvoreingenommenen Reaktion, zur echten Offenheit gegenüber anderen und zum bewussten Erleben im Hier und Jetzt stärken. Letztlich also meine Autonomie, die sich immer in Bezug auf mein Gegenüber definiert.
Kurz gesagt: wenn ich erkenne, was meine Gefühle eigentlich wollen, kann ich daraus lernen, was wirklich für mich wahr ist und wie ich daran wachsen kann.
Lies' hier noch mal meinen Beitrag zu Kurzarbeit – auch als „Versorger“ hast du schnell mit solchen Gefühlen zu kämpfen.
Was meine Angst will
Angst hat nach Moiso den Hintergrund, dass wir uns nach Hilfe oder Rückversicherung sehnen. Das bedeutet, dass ich erkennen kann, wo meine eigenen Grenzen sind und sie akzeptieren lerne.
Als Vater bin ich nicht allmächtig. Ich kann mein Kind nur bis zur Tür bringen, danach macht es eigenständige Erfahrungen in der Welt, und zwar nicht nur aus meiner Sicht „positive“. Die erhoffte Rückversicherung kann für mich dann darin bestehen, dass ich zwar nicht immer da sein kann, aber bis hierher mein Bestes getan habe, um mein Kind mit den nötigen Ressourcen auszustatten, um an diesen Situationen zu wachsen.
Was meine Trauer will
Meine Trauer verlangt nach Trost, nach Gehaltenwerden und einem Weg aus dem instinktiven Verschluss (sozusagen dem Einigeln als Schutzhaltung), der mit ihr einhergeht. Diesen Trost kann ich mir dadurch selbst geben, indem ich die Grenzen aller Menschen erkenne und akzeptieren lerne: jeder Mensch wächst und jedes Wachstum geht auch mit Schmerz einher. Ja, es ist traurig, dass ich nicht durch die Augen meines Kindes sehen kann. Aber das ist nun mal die Grenze aller Menschen.
Die Symbiose, die mein Kind und ich bisher hatten, wird eben immer lockerer – und das ist doch auch gut so. Wir dürfen uns ent-falten und dabei jeder für sich erkennen, wer wir sind – auch ohne den anderen. Ich kann doch auch die Freude entdecken, die aus diesem Abschied entstehen kann!
Zum Schluss: Grund zur Freude
Ja, auch Freude spielt eine Rolle. Wenn ich nämlich meine Autonomie in dieser Erfahrung stärke, kann ich auch die „nützlichen“ Anteile meiner Gefühle wahrnehmen.
Meine Angst zeigt mir doch deutlich, wie wichtig mir mein Kind und unsere Beziehung sind. Dass wir uns von einander trennen können.
Meine Trauer lässt mich spüren, dass wir eine tiefe Verbindung haben und mein Kind auch ein Teil meiner Selbst ist. Und trotzdem jetzt die eigenen Flügel ausbreitet.
Das macht mich glücklich und stolz. Was für ein Wunder so ein kleiner Mensch ist. Wie offen, unvoreingenommen, voller Tatendrang und Entdeckergeist diese kleinen – oh, viel zu kleinen – Füße in die Welt hinausgehen, um sie sich anzueignen.
Und das aus sicherer Perspektive zu beobachten kann ja auch was Schönes sein.